So lob ich mir das!

So (siehe Bild) sitz ich gerade da, mit einem Kaffee (zwar nur Instant aber er ist trotzdem herrlich) und zwei Stücken vom in Ontario produzierten "Old English" Fudge den mir David und Lilla aus den Rockies mitgebracht haben (soviel zur "Originalität des selbigen, wie beim Kaffee schmälert das auch hier den Genuss kein Bisschen.) und durch den Lautsprecher erfreut mich Coldplay (es gibt zwar Unmengen an guter Musik, aber auf Dauer geht nichts über "A Rush of Blood to the Head" - Danke Kathi!) Ein eigenes Büro, was für ein Traum. Vielleicht sollte ich Beamter werden, was, wie Michael (der sinnigerweise aus Kanada stammende Doktorand, der mir die Unterkunft in Oxford vermittelte) mit unverhohlener Abscheu in der Stimme behauptete, ohnehin das alleinige Ziel der bequemen und engstirnigen Österreicher sei. Wahrscheinlich hatte er noch nie so ein Büro, sonst dächte er ganz anders. Was kann man mehr wollen?

< image "office" deleted >

Der Grund warum ich selbiges so ausgiebig auskosten kann ist ein nicht so erfreulicher: David hat sich auf oder kurz nach dem Trip einen Virus oder ähnliches eingefangen und liegt mit Halsweh und Fieber im Bett, sodass sein Stuhl eben ungewohnt leer ist (Die Feuerlilien im Hintergrund des Fotos sind übrigens der erwähnte Willkommensgruss von mir an ihn, von dem er jetzt leider auch nichts hat.). Lilla, die sich am Wochenende um ihn gekümmert hat, wurde dadurch belohnt, dass sie sich heute ebenfalls schwach und fiebrig fühlte, und meinte, sie ginge nur mehr Lebensmittel für ein paar Tage einkaufen und dann nach Hause, wo sie sich eben diese nächsten Tage auskurieren wolle. Es sieht also so aus, als würde es während selbiger nächster Tage sehr still am Institut werden.

Und nach morgen gibt es bis Freitag (zwei lange Tage) keinen Fußball mehr, was sich hoffentlich auf das Arbeitspensum niederschlägt. Ich habe mir schon heute eine WM-Pause genehmigt. Italien in der früh wollte ich – analog zum Deutschlandspiel am Samstag - sowieso nicht sehen, weil es nur ein Ärgernis gewesen wäre und wie ich dem Ergebnis entnehmen konnte wurden meine dunklen Vorahnungen sogar noch übertroffen. Ein Grausen! (Mehr sag ich nicht, sonst mach ich mich bei diversen Leserinnen noch unbeliebter als ich eh schon bin.) Und Schweiz-Ukraine war ja nun auch nicht ein Duell, das man unbedingt sehen muss – und auch da dürfte sich meine Einschätzung als richtig erwiesen haben (abgesehen von den 10 Minuten des Elferschiessens vielleicht). Folglich hat sich heute die Kombination aus kein Fußballschauen und fehlendem langem Mittagspausentratschen deutlich bemerkbar gemacht und ich konnte mit 7 ½ Stunden Arbeitszeit den höchsten Wert bisher verbuchen.

Die effektive Lesezeit lag ungefähr eine Dreiviertelstunde niedriger, weil ich mich in der Früh erst einmal mit einer neuen Maschine herumschlagen musste. Wochenlang sieht man in dem Micromaterial-Kammerl kaum einen Menschen und von einem Tag auf den anderen stibitzt einem dann so ein bösartiges Luder einfach „seinen“ Platz (Jawohl: Meiner! Meiiiiiiin Platzzzzzzz, meiiiiiiin Schatzzzzzzz!) weg. Und noch dazu eine Ausländerin aus dem feindlichen Calgary – dass die sich hier überhaupt hertraut!

Zur Erklärung: Im Eishockey sind die beiden Mannschaften Albertas, die Edmonton Oilers und die Calgary Flames zumindest Rivalen, und – was die Fans betrifft – sind durchaus stärkere Gefühle der Abneigung vorhanden. Bezeichnend war beispielsweise, dass im sechsten Spiel des Stanley-Cup Finales (wo man meinen könnte, das ganze sei eine nationale Angelegenheit Kanada gegen die USA) der kanadische Premierminister Stephen Harper zwar das Spiel in Edmonton besuchte aber – als wahrscheinlich einziger Politiker in den letzten Wochen – sich nicht nur nicht anbiederte, ein Oilers-Dress zu tragen sondern sich sogar weigerte: "That picture would be used against me in Calgary," argumentierte Harper, der durch eben diesem Wahlkreis gewählt wurde. (Edmonton Journal, 18. Juni 2006) Hierzustadts war sein Verhalten fast ein Politikum und ein Leserbriefschreiber meinte, vielleicht werde er sich dann eben in der nächsten Wahl weigern, das Dress der Konservativen anzuziehen.

Auf der Suche nach einem ebenbürtigen Gerät zeigten mir die Leute der Bibliothek die Geräte im Erdgeschoss die moderner sind und man sitzt im Hellen und es kommen mehr Leute vorbei. Einerseits würde das eine Chance zum Socialising bieten, da die hiesigen Mikrofilme hauptsächlich alte Zeitungen zu archivieren scheinen und sicher kaum wer so cool aussehende Schriftbilder zu Gesicht bekommen hat (nach 10 Minuten ging eine Biblitheksbedienstete vorbei und fragte gleich, was das denn ist) und außerdem kommen immer wieder StudentInnen an die Maschinen, die selbige zum ersten Mal benutzen und um Hilfe bitten. Andererseits ist eben das natürlich ablenkend, selbst ohne derartige Unterbrechungen ist das Umfeld einfach unruhiger. Und die Sitzhaltung ist so unangenehm, dass ich nach drei Stunden, zur Mittagspause, vollkommen verspannt war.

Also schlug ich am Nachmittag wieder den Weg in den ersten Stock ein, wo es ja noch andere, wenn auch nicht vergleichbare Maschinen gibt und wo – wie nicht anders zu erwarten - das Monster noch immer meinen Platz besetzte – wär auch zu schön gewesen, wenn sie Mittagspause gemacht hätte, aber vermutlich verträgt dieser Vampir kein Tageslicht. (Es gab heute wieder strahlendsten Sonnenschein, so dass ich mit Dreiviertelhosen und Flipflops herkam, was mir eine spitze Bemerkung von Erzi einbrachte, offensichtlich war das zu salopp für den hiesigen Dresscode, nachdem ich aber ohnehin die ganze Zeit allein – nun, fast allein, leider im Moment nicht allein genug - in der Bibliothek sitze, werde ich dem Ansehen des Instituts wohl kaum schaden können.) Gott sei Danke hatte der werte Herr da oben offenbar Mitleid mit mir und verscheuchte das Böse nach etwa einer halben Stunde (in der ich statt zu lesen mit dem streikenden Word zu kämpfen hatte) und so konnte ich so richtig loslegen. Wenn sich, was aus obengenannten Gründen sehr wahrscheinlich ist, in den nächsten tagen nichts erzählenswertes tut, wird ich mehr von meiner ehrenvollen Tätigkeit erzählen.

So, inzwischen bin ich bei CD Nummer 2 (Placebo), Kaffee Nummer 2 und Fudge Stücken Nummer 3 und 4. Also werd ich mich demnächsten auf den Nachhauseweg machen. Noch immer zu Fuß, aber möglicherweise wartet daheim schon ein Rad auf mich oder der Direktor bringt es morgen, wenn’s wahr ist. (Ich hätt meinen Schlafsack heute mitnehmen sollen, dann könnt ich's mir jetzt die ganze Nacht in meinem neuen Wohnzimmer gemütlich machen.) Auf den gewohnten strammen Marsch verzichte ich heute dankend, es wird eher ein entspannendes ausschütteln. Meine kompletten Unter- und Oberschenkeln sind vermuskelkatert und auch das Kreuz spüre ich (nicht von heute sondern noch von gestern). Und die Knie und Ellbogen sind auch wund – guter bodenständiger, deutschösterreichischer Kampfgeist eben (obwohl mir trotzdem scheint, der Rasen ist bedeutend weniger weich als bei uns). Ja - es ist gestern tatsächlich etwas mit dem Fußballspielen geworden, fast drei Stunden, von 7 bis kurz vor 10, als es langsam zu dämmern begann.

Zwar war es „nur“ Kleinfeld (im Endeffekt gibt nur das richtig große Feld das perfekte Feeling) aber es war gut zu spielen und jedes Team hatte zwei Wechselspieler, was ich angesichts meiner nicht vorhandenen Kondition zu schätzen wusste. Die Pausen hatten den angenehmen Nebeneffekt, dass ich ein bisschen Smalltalk mit den Mit- und Gegenspielern praktizieren konnte. (Einige spielen in Vereinen, dritte oder vierte kanadische Liga und die Vereine haben so furchtb.. äh klingende Namen wie Juventus oder Milan.) Insbesondere am Anfang war ich froh, ausgiebig Pausen einzulegen - einer meiner häufigsten Kommentare bezüglich meiner Leistung war „I’m oooold!“ sowie „Sorry“, wenn ich wieder mal was ordentlich verhaute sowie diverse Flüche (ebendann). Autsch. Mein Ballgefühl war praktisch nicht existent, aber das war ja noch nie meine Stärke. Zumindest das Gefühl für den richtigen Moment zum Attackieren und der Blick für die Mitspieler waren noch eindeutig vorhanden, wobei sich letzteres bedeutend besser gestalten hätte können, wenn ich die Mitspieler auch etwas besser gesehen hätte. Aber ohne Brille? Vielleicht setze ich nächstes Mal meine alte auf, die ich für den Notfall (Etwa falls ich einen „Tanz“unfall oder ähnliches haben sollte…) mitgenommen habe. Wenn das Wetter schön ist (und mich der David-Lilla-Virus nicht erwischt), bin ich nächsten Sonntag wieder dort!
Florian (Gast) - 2006/06/27 14:45

Endlich mal ein Ort, wo ein Dresscode großgeschrieben wird. Nicht so wie in der elendigen Rechtsanwaltskanzlei, in der ich arbeite, wo mein Chef immer in kurzen Hosen und Klapperl rumläuft und nur ich mit herrlichen Gewändern Haltung bewahre.

Quote

Wer die Enge seiner Heimat ermessen will, reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte. (Kurt Tucholsky, 1890-1935)

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hm...
du hast recht diesen Text zu Analysieren ist ziemlich...
little brother (Gast) - 2009/01/31 12:15
Hab a no was zum Thema...
Auf den Innsbrucker Vorfall bezogen, heißt das also:...
relationes - 2009/01/27 01:51
hab i no gfunden :)
http://orf.at/090126-34295 /index.html
little brother (Gast) - 2009/01/26 14:39
@ little brother: mehr...
@ little brother: mehr als 1/4 der Österreicher sind...
Zita (Gast) - 2009/01/20 10:09
ahhh
Na den hatte ich tatsächlich nicht mehr in Erinnerung.Na...
little brother (Gast) - 2009/01/20 09:36
LOL. Scharfsinnigst auf...
LOL. Scharfsinnigst auf den Punkt gebracht, little...
relationes - 2009/01/20 03:31
Ja,ja böse Bettler belästigen...
Ja,ja böse Bettler belästigen Kirchenbesucher in dem...
little brother (Gast) - 2009/01/19 23:37

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